Nummer – Zeitschrift für Kultur in Würzburg und Bulgarien
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Editorial
nummer 22

Liebe Leserinnen und Leser,
liebe Kulturschaffende und -interessierte,

ist er nicht eine Freude – dieser erste Adventssonntag! Blauer Himmel, warme Luft, die Gäste sitzen sogar in der Alten Mühle draußen, als feierten wir nicht in drei Wochen Weihnachten.

Aber dann fällt der Blick auf die ferne Domfassade, die natürlich an einem solchen Tag erst recht einen fast blendenden Glanz entfaltet, blendend freilich nicht mit einem harten Weiß und starken Kontrasten, sondern gebrochen mit einem leicht rötlichen Touch, fast wie von Softeiscrème. Und dieser herrlich neugegliederte Mittelteil, mit dieser bezaubernden Uhr unter dem Giebel, original romanisch, wie es das 19. Jahrhundert liebte, als noch nicht jeder mit einer Armbanduhr sich zu orientieren pflegte. Der Zeitmesser ganz oben – näher, mein Gott, zu Dir! Es ist, als wollten die Uhren der Kirche und des Rathauses miteinander korrespondieren und wetteifern.

Denn daß da Konkurrenz sei, das hat die feierliche Einweihung der Fassade vor einigen Wochen zum Ausdruck gebracht. Für die Renovierung hat zwar der Staat bezahlt, ein erkleckliches Sümmchen zumindest, weit über eine halbe Million Euro, aber eingeweiht hat vor allem die Geistlichkeit, eine kleine, schwarze Traube, ergänzt durch drei bedeutende weltliche Repräsentanten: den Regierungspräsidenten, die Oberbürgermeisterin und den 1. Bürgermeister, der ja im Finanziellen eine gewichtige Beziehung zur Kirche hält. Stadträte fehlten völlig, wenn wir uns nicht täuschen – sie versicherten hinterher unisono, sie hätten von nichts gewußt.

Der Rahmen dieser Veranstaltung war, wie könnte es anders sein, ein musikalischer. Aber nicht irgendeiner. Die Deutsche Jugendkraft, kurz DJK, einer Umlandgemeinde hatte eine Bläserschar als Abordnung geschickt, mit einer raffinierten Stückeauswahl: Am Anfang war für dezente Bierzeltstimmung gesorgt, mit der notwendigen Getragenheit, in der Mitte wurde ein religiöses Loblied angestimmt. Und zum Abschluß »folgte dem deutscher Gesang«, wie es sich für das patriotische 19. Jahrhundert gehörte, das Frankenlied, in das alle aus befreiter Kehle einstimmen konnten.

Die Reden dazwischen wollen wir übergehen, bis auf die des beschwingt die Treppe hinauf ans Mikrophon eilenden Bischofs. Sein Lob der Domfassade ging ins Grundsätzliche: Er sah den Dom nunmehr in Freiheit. Damit wurde eine Äußerung noch gesteigert, daß der Stadt jetzt das Zentrum zurückgegeben worden sei – so, als sei nicht das Rathaus nur einen Steinwurf entfernt. Welche Freiheit gemeint war, das blieb am düsteren Himmel ein Rätsel.

Die Redaktion.