Nummer – Zeitschrift für Kultur in Würzburg und Bulgarien
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Fotos: Wolf-Dietrich Weissbach

Der Buhmann als
zynischer Pädagoge

Ein etwas anderer Struwwelpeter im Theater am Neunerplatz

von Wolf-Dietrich Weissbach

Volksgut zu »covern«, wie dies neudeutsch heißen könnte, zumal wenn es sich um Märchen oder Kinderbücher handelt, die beinahe schon seit Jahrhunderten fast jedes Kind in sich aufgesogen haben dürfte, ist gewiß nicht sie schlechteste Idee, in der öffentlichen Wahrnehmung einen Vorsprung auszunutzen.

Das Theater am Neunerplatz – natürlich speziell Markus Czygan, Claudia Rath und Wolfgang Salomon – hat diesbezüglich Erfahrung. Die ist auch nötig, denn das Risiko, mit derartigen Bühnenfassungen Schiffbruch zu erleiden, ist durchaus gegeben. Dann nämlich, wenn den Zuschauern zuviel zugemutet wird, wenn sie die Urfassung womöglich nicht wiedererkennen, die Adaption mit allzu abwegigen Ideen frisiert wird oder so.

Bei der neuesten Produktion im Neunerplatz dürfte diese Gefahr nicht bestehen. Markus Czygan und Claudia Rath halten sich mit ihrem »Struwwelpeter« sehr eng an die Vorlage von Heinrich Hoffmann, ändern nur in einem Umfang, wie er leicht mit Gedächtnislücken gerechtfertigt werden kann. Natürlich, einzelne Sketche sind schriller, fataler, mitunter auch ins Gegenteil verkehrt. So platzt der Suppen-Kaspar, der im Original verhungert, weil er zwar die Suppe verweigert, aber stattdessen Unmengen Braten und Würste verschlingt. Der »böse Friederich« verblutet nach der drastischen Beinamputation durch einen irren Doktor; die »schwarzen Buben« ertrinken im Tintenfaß und der Zappel-Philipp schleudert sich beim Abräumen des gedeckten Eßtisches selbst das Küchenmesser in die Brust.

Andere Episoden bleiben nahezu unverändert. Und hier müßte auch, wenn man unbedingt will, etwas Kritik an der insgesamt unterhaltsamen und von Live-Musik begleiteten Inszenierung ansetzen. Czygan und Rath verknüpfen die einzelnen Teile durchaus wirkungsvoll mit der Gallionsfigur Struwwelpeter (Julia Henning), die den Eltern (Zuschauer) von Mal zu Mal meist zynische, pädagogische Ratschläge gibt. Nur ist es kaum möglich, diese »Erziehungstips« mit den einzelnen Sketchen gedanklich so richtig zur Deckung zu bringen. Dies gelingt nur ansatzweise, wenn man z.B. fast Nihilistisches herausliest, einerlei, wie man erzieht, die Kids mißraten auf jeden Fall. Ein Standpunkt, den man mit Lust vertreten könnte, dennoch überwiegt der Eindruck, daß es bei diesem Struwwelpeter wirklich rein um trash geht. Bunt, böse, blutig und hyperaktiv (nicht nur letzteres beherrscht Carolin Barczyk meisterhaft). Dabei wäre es gar nicht nötig, etwa einem F. K. Waechter zu folgen, der 1970 einen Anti-Struwwelpeter verfaßte, in dem er die Eltern als repressive Erzieher darstellte und die Kinder zum Widerstand aufforderte. Es genügte vermutlich, wenn das, was der Struwwelpeter (nach Czygan und Rath) als kindliche Gedankenwelt verheißt, dann auch im Hoffmann’schen Bild umgesetzt würde, und die Kinder als bildungsferne, fette und aggressive Monster den Eltern den Garaus machten.

So aber erscheint das Ganze etwas mit heißer Nadel gestrickt, ohne Augenmerk auf gedankliche Stringenz, was schade ist, denn dafür ist es dann doch wieder zu gut umgesetzt, sowohl was die Darsteller (neben den bereits Erwähnten noch Jörg Becker und Frido Schaff), das Bühnenbild mit einem schönen, großen Bilderbuch von August Stern, und nicht zuletzt die Musik von Wolfgang Salomon und Andreas Albiez (Musiker: Lars Gaupp, Markus Geiselhart, Andreas Albiez, Jawed Iqbal, Ralf Wieland, Matthias Zippel und Gerhard Schäfer) betrifft. Wer also damit leben kann, daß auch dieses Stück die Welt nicht erklärt und schon gar nicht verbessert, der wird sich davon zumindest gut unterhalten fühlen. Auf der Titanic ließ man bekanntlich auch die Musik weiterspielen. ¶


Struwwelpeter – Das horrible Pädagogical
Das »Kuriositätenkabinett für Erwachsene mit Live-Musik« wird noch bis Ende Januar 2007 im Theater am Neunerplatz gespielt.

Spielplan, Kartenreservierungen und mehr Informationen unter
www.neunerplatz.de