Nummer – Zeitschrift für Kultur in Würzburg und Bulgarien
< zur nummer 22

 


Max Beckmann: Dame mit Hut und Schleier, 1941.
Abbildung aus dem Katalog

Ida Gerhardi: Karl Ernst Osthaus, 1903.
Abbildung aus dem Katalog.

Weltkunst und Provinzgeschmack

55 Meisterwerke auf der Durchreise

von Achim Schollenberger

Der Mann hatte sich einer Mission verschrieben: Die Kunst und das Leben sollten im Einklang sein. Mitten in der Provinz. Ort des Geschehens: Nicht Würzburg, wie der Connaisseur vermuten könnte, sondern Hagen, im südöstlichen Ruhrgebiet gelegen. Zeit der Handlung: das Jahr 1902.

Karl Ernst Osthaus, 28 Jahre jung, vermögender Sohn aus gutsituiertem Bankiers-und Industriellenhause, hatte sich der Kunst zugewandt und begann seinem Zukunftsentwurf Gestalt zu verleihen. Ein Museum der Weltkulturen wollte er bauen und auf die generelle Umgestaltung des Lebens durch die Kunst hinarbeiten. Sein Museum sollte ein lebendiger Ort sein, an dem Lebendiges entstehen würde. Angelehnt an die Festhalle der Göttin Freya aus der nordischen Sagensammlung »Edda«, einem Platz an dem sich die Menschen versammeln, gab er ihm den Namen Folkwang. Dazu schien das südschwedische Wort »Vang« für Wiese oder Hagen ebenso passend zu sein für die Stadt. Hagen war schließlich noch Provinz und wurde erst 1928 zur Großstadt, als sie mehr als 100 000 Einwohner zählte. Seine Heimatstadt sollte, nach der Vorstellung von Karl Ernst Osthaus, zum Gegenpol Berlins, zu der kulturellen Großstadt des Westens werden. Das konnte freilich nur gelingen, wenn man sich, gerade an solchen Orten, der Auseinandersetzung mit dem Neuen, Modernem, dem Unbequemen und Irritierendem nicht verschloß.

Obwohl die Wiege »Folkwangs« in Hagen stand, kennt man heute eher das gleichnamige Museum und die entsprechende Kunsthochschule in Essen. Das rührt daher, daß nach dem Tode von Osthaus, er starb 1921 mit nur 46 Jahren, seine Erben den gesamten Museumsbestand sowie den Namen an die Stadt Essen verkauften, welche wohl ein verlockend lukratives Angebot unterbreitet hatte. Zum späteren Leidwesen der Hagener. Seit 1945 hat man allerdings in Hagen mit dem Karl Ernst Osthaus Museum ein würdiges Nachfolgehaus, in dem es bedeutende Werke des Impressionismus, des Expressionismus und der klassischen Moderne zu bestaunen gibt.

Normalerweise. Denn was des einen Malaise ist, wird zum Glücksfall für andere. Für zwei Jahre wird in Hagen das Museum umgebaut und durch einen Anbau für die Werke des Malers Emil Schumacher erweitert. Und um die Meisterwerke nicht bis zum August 2008 ins Depot zu verbannen, entschloß man sich, sie auf Reisen zu schicken. Sieben Städte wurden dafür ausgewählt, Würzburg ist als einzige Station in Bayern dabei. So kommt man bis zum 28. Januar 2007 im Kulturspeicher in den lohnenden Genuß der Bilder von Renoir, Luce, Beckmann, Feininger, den »Brücke« Künstlern, und den Mitgliedern des Blauen Reiters, weiterer berühmter Namen und dazu Plastiken von Maillol, Archipenko und Minne, allesamt großzügig gehängt oder im Raum platziert, mit viel Luft zum Atmen und Vertiefen.

Gerne wird in der Provinz gejammert. Zeitgenössische Kunst fristet nun mal dort ein hartes Dasein, wenn es um die öffentliche Gunst geht. Schnell ist die Kritik parat um das Unverstandene, Neue, die Brüche mit den Konventionen abzutun. Mitunter hat man den Eindruck, daß sich daran seit 100 Jahren nichts geändert hat. Wie zeitgemäß klingen die Worte von Karl Ernst Osthaus, der selbst nach zwei Jahrzehnten intensivstem Bemühen immer noch seine Kritiker überzeugen mußte und 1919 resigniert über seine Heimatstadt schrieb: »So war denn der Folkwang ein (…) Anziehungspunkt für alle Freunde der modernen Kunst geworden. Von den lokalen Wirkungen allerdings möchten wir schweigen, da wir unsere Felder der geistigen Evolution, nicht aber der Pathologie des provinziellen Geschmacks zu leihen entschlossen sind.« Mancher Museumsdirektor wird dem auch heute noch tief im Inneren beipflichten, angesichts der Tatsache, daß zeitgenössische Kunst nur mühsam ein größeres Publikum findet und schwer zu vermitteln ist. Auch Würzburg macht da keine Ausnahme.

Zur aktuellen Ausstellung im Kulturspeicher werden die Zuschauer angesichts der hochkarätigen Künstler vermutlich zahlreich strömen. Völlig zu recht, es gibt schließlich die 55 Meisterwerke nur für kurze Zeit zu bestaunen. Pikanterweise war aber das, was nun in höchsten Tönen gelobt wird und für Verzückung sorgt und heute sehr teuer bezahlt wird, zu Zeiten von Karl Ernst Osthaus alles andere als gefragt und anerkannt. Drei Jahrzehnte später wurden Werke solcher Art sogar als entartet gebrandmarkt.
Zwar stammen die nun zu sehenden Exponate zumeist aus privaten Stiftungen kunstsinniger Bürger nach dem Zweiten Weltkrieg, als man in Hagen begann, eine neue Sammlung aufzubauen. Doch die Arbeiten zeugen davon, was der visionäre Mäzen selbst einmal gesammelt und zusammengetragen hatte, wenn auch in Form anderer Werke der gleichen Künstler.

Was 1902 begann, war für damalige Zeiten ungewöhnlich. Unter dem Einfluß des belgischen Architekten Henry van der Velde, der das Museum und später auch das Wohnhaus des Gönners und die von ihm geplante Künstlersiedlung Hohenhagen in Angriff nahm, wandte sich der junge Osthaus der damaligen zeitgenössischen Kunst zu als diese nur von wenigen in ihrer Bedeutung erkannt und tatkräftig gefördert wurde. Das Ausstellungsprogramm des Folkwang Museums wurde deshalb über die Jahre zu einer Chronik des aktuellen Kunstgeschehens, es zeigte die modernen Strömungen, das Neuartige. Künstler, die noch am Anfang einer Karriere standen, wie Christian Rohlfs beispielsweise, wurden eingeladen, in Hagen zu leben und zu arbeiten. Er sollte bis zu seinem Tod 1938 in seiner kleinen Atelierwohnung bleiben.

eine Bilder, einige davon vom damaligen kunstsinnigen Hausmeister während des Nazi-Regimes im Keller versteckt und so gerettet, bilden auch heute noch einen wichtigen Bestand des Karl Ernst Osthaus Museums. So ist Christian Rohlfs auch ein kleiner Werkblock im Kulturspeicher gewidmet.
Die Kunstwerke auf Reisen in die »Provinz« zu schicken, hätte Karl Ernst Osthaus sicher gefallen, es ging ihm ja auch um Kunstvermittlung, um die Erweiterung des Blickwinkels. Daß er den nötigen Weitblick besaß, beweist die Zeit. Was einst provokativ und »unmöglich« war, hat sich in anerkannte, hochgeschätzte Weltkunst verwandelt. ¶


Von Renoir bis Feininger – Meisterwerke der klassischen Moderne aus dem Karl Ernst Osthaus Museum Hagen
Ausstellung vom 25. November 2006 bis 28. Januar 2007.
Montag, Heiligabend, 1. Weihnachtstag und Silvester geschlossen.
Zur Ausstellung ist ein Katalog zum Preis von 12 Euro erschienen.

www.kulturspeicher.de