Nummer – Zeitschrift für Kultur in Würzburg und Bulgarien
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Foto von Kurt Fuchs

Foto von László Ertl

Foto von K.-J. Hildenbrand

Foto von Theresa Ruppert

Was für ein Bilderrausch!

Die Preisträger des Bayerischen Pressefotowettbewerbes 2006
stehen fest

von Wolf-Dietrich Weissbach

Um zu erfahren, auf welche Schwundstufe sich hierzulande und gegenwärtig die Pressefotografie einpixelt, bräuchte es die alljährliche Leistungsschau eines journalistischen Berufsverbandes wohl eher nicht. Wer würde schon erwarten, daß ausgerechnet den Fotografen ein wohltuender Kontrapunkt zum journalistischen Umfeld gelänge. Die Geschickteren werden einfach nur den Erwartungen gerecht, und wenn nicht, erfüllen sie diese gerade – es kommt nicht mehr darauf an. Mit der digitalen Fototechnik wurde auf drahtlose Weise ohnehin jeder Redakteur zum Meisterfotografen »ge-updated«; der reine Pressefotograf verkümmert in zahlreichen Verlagshäusern zum lästigen Kostenfaktor, zum Relikt, das man anstandshalber durchfüttert; gebraucht wird er eigentlich nicht, nicht mehr.

Nun kann man nicht einmal behaupten, daß damit die Kriterien für gute Pressefotografie verloren wären, diese gab es ja nie etwa in der Form eines lehrbaren Kanons. Sie manifestierten sich allenthalben in den Bildern des zuständigen Personals, das gelerntes Handwerk, ein spezifisches Berufsethos, eine bestimmte Geste des Fotografierens, womöglich eigenen Stil, journalistische Berufserfahrung und – sicherlich individuell verschieden – das »Auge« für das gute Bild in sich vereinte. Allein diese Aufzählung klingt so altbacken, daß dies modernen Nachrichtendesignern nicht mehr zuzumuten ist, die das Bild freilich mehr denn je benötigen.

So werden lieber die Ansprüche marginalisiert und die geronnenen Marketingstrategien der Verlagshäuser als neue Bildsprache verkauft. Einerseits unterscheidet sich nun das moderne Pressebild – zumindest in Regionalzeitungen – praktisch nicht mehr von dem Geknipsten der Leser der entsprechenden Blätter, was natürlich so segensreiche Institutionen wie den »Leserreporter« erst ermöglicht. Andererseits wird von den einschlägigen Distributoren eine kreative Pressefotografie propagiert, die nicht nur die Möglichkeiten der digitalen Technik ausschöpft – Manipulation ist kaum mehr ein Problem, bei Agenturen sowenig wie am NewsDesk; so freut sich beispielsweise Kristina Kömpel (Agentur Corbis Deutschland) darüber, daß durch die Bildbearbeitung ganz neue Farbkombinationen entstehen (siehe Journalist 4/2006) –, sondern auch Models für das Pressebild nutzt, die eine Szene schlicht spielen; statt trister Gänge in Arbeitsagenturen, will man junge, hübsche, optimistisch-dreinblickende Harz-IV-Empfänger sehen. Polemik liegt uns hier fern: Das Pressebild ist im Wandel. Da mag eine gewisse Verunsicherung beim Beurteilen von Pressefotografien verständlich sein. Und so verwundert es auch nicht wirklich, daß die Juroren des Bayerischen Pressefotowettbewerbes (unter denen 2006 Vertreter von Focus, SZ-Magazin und nicht zuletzt auch der Würzburger FH-Professor Dieter Leistner waren; Jury-Vorsitzender war der Chefredakteur von Photo International, Hans-Eberhard Hess) seit Jahren die Chance vertun, kritisch Maßstäbe zu setzen, die diesen Entwicklungen deutlich zuwiderliefen.

In diesem Jahr ist man gleich dazu übergegangen, nur mehr den Ereignissen zu huldigen und hat Arbeiten prämiert, die eben zur Fußballweltmeisterschaft und zum Papstbesuch entstanden. Themen, denen sich dem Vernehmen nach rund 60 Prozent der teilnehmenden Fotografen widmeten. Immerhin waren es aber über 1000 Einsendungen. Trotz Unschuldsvermutung – ist ja tatsächlich nicht bekannt, was für Bilder eingereicht wurden – kann man die prämierten Arbeiten dennoch eher als Indiz für eine ratlose Jury nehmen, für das Unvermögen, Fotos tatsächlich unter fotografischen (und nicht nur verlagspolitischen) Gesichtspunkten zu qualifizieren, denn als Ausdruck der Gewißheit, wirklich das Beste ausgewählt zu haben.

Wie auch anders soll man etwa das Siegerbild in der Kategorie »Sport« von Theresa Ruppert, die zweifellos bayernweit zu den guten Pressefotografen zu rechnen ist, verdauen, das in der Ausstellung »Why not!?« in der Würzburger Frankenhalle entstand und sich allenfalls dadurch auszeichnet, daß ein Berufsfotograf als Urheber hier nicht einmal zu erahnen ist, da die eigentliche Botschaft gerade mal ein Drittel der Bildfläche benötigt und ansonsten nur Platz verschwendet. Auch in der Kategorie »Kultur« fällt einem beim Betrachten des prämierten Bildes allenfalls Heiner Müller ein (»Zehn Deutsche sind natürlich dümmer als fünf Deutsche.«). Das offensichtlich mit dem Argument »mal was anderes« gekürte Werk »Bücherbrunnen« des Main­aschaffer Fotografen László Ertl, das einen wahrlich atemberaubenden Ausschnitt des Bücherturmes des slowakischen Künstlers Matej Kren in der Sammlung Berger (Teekannenmuseum) in Amorbach zeigt, kann schwerlich liebloser fotografiert werden. Hingegen wird man die Arbeiten von Christof Stache – Sieger in der Kategorie »Umwelt« – und des dpa-Fotografen Karl-Josef Hildenbrand (Sieger in der Kategorie »Land & Leute«) nicht gänzlich verdammen.

Obwohl der Jury im ersten Fall ein bemerkenswerter Eskapismus zu bescheinigen ist und Hildenbrands Foto sich wohl blanker Not verdankt; es entstand vermutlich bei der Karfreitagsprozession in Lohr am Main und dabei regnet es immer. Schließlich noch die Serie (Sieger) über den Brand einer Fleischfabrik von James Albright aus Schwabach; sie müßte allein deshalb durchfallen, weil der Fotograf noch weiter vom Ort des Geschehens entfernt blieb als die Schaulustigen. Auch hier hat die Jury das Ereignis bzw. die bloße Präsenz des Fotografen prämiert und vermutlich nicht die fotografische Ausführung.

Interessant ist hingegen das Bild des Gesamtsiegers Kurt Fuchs aus Erlangen, der sich meines Wissens in der Vergangenheit mit fein arrangierten Fotografien aus Wissenschaft und Technik eine Namen gemacht hat und dessen Arbeit Fußballfans vor einem Plakat zu der Ausstellung »Was ist deutsch« im Nürnberger Nationalmuseum zeigt. Zweifellos hat er sich bei seinem Bild etwas gedacht. Im Gegensatz zu den anderen prämierten Fotografien, die größtenteils auch von quirreligen Leserreportern stammen könnten, wurde hier ein kreatives Pressefoto als preiswürdig erachtet.

Ein Bild, das den heutigen Erfordernissen eines Pressefotos voll entspricht: einfach gebaut, schnell zu erfassen. Allerdings kommt man ins Grübeln, wenn die Jury in ihrer Begründung ausführt, daß das Bild »Fußballfans in einem fahrenden Auto« zeige. Wer sich das Bild einen Moment länger als die Juroren ansieht, stellt fest, daß das Auto nicht gefahren sein kann, nicht wegen der schlapp herunterhängenden Fahne, nicht wegen den vom Fahrtwind nicht einmal zart angehobenen Haaren der beiden Frauen, die gerade einem Zeitgeistmagazin entsprungen sind, sondern allein schon des Fahrers wegen, der im nächsten Augenblick einen Auffahrunfall verursacht hätte. Das Bild, das ob seiner damit zu verbreitenden Botschaft gerade keine Zweifel an Glaubwürdigkeit verträgt, ist mit größter Wahrscheinlichkeit inszeniert.
Dabei aber soll man sich ja nichts mehr denken, selbst wenn dieses Beispiel zeigen könnte, wie leicht Fotografen unter den Weisungen einer »kreativen Pressefotografie« sich zum ausführenden Organ irgendwelcher Interessen machen ließen. Das Siegerbild ist in der Tat eines, das jede Presseagentur sofort in den Dienst nehmen würde. Allein das sollte einen Journalistenverband jedoch stutzig machen. Statt einfach nur den Begehrlichkeiten der Verlage zu genügen, sollte die Pressefotografie Gegenstand einer grundsätzlichen Erörterung werden.

Für einen Berufsverband gälte es doch wohl, sich nicht zum Büttel von Vermarktungsinteressen – fällt überhaupt noch jemanden auf, daß es bei diesem Wettbewerb eine Kategorie »Arbeit und Soziales« schon gar nicht gibt – zu machen, sondern sich am gesellschaftlichen Auftrag der Medien und damit an den Interessen des »mündigen« Lesers zu orientieren. Der Pressefotowettbewerb könnte dafür einen brauchbaren Aufhänger bieten. Oder ist man beim BJV (Bayerischer Journalistenverband) der Auffassung, daß die Presse in unserem Lande keinen Anlaß zu irgendwelchen Befürchtungen biete und die überhaupt noch vorhandenen Zeitungen und Zeitschriften ihrer gesellschaftspolitischen Aufgabe – und hierbei spielt das Foto eine wesentliche Rolle – wunderbar gerecht würden? ¶