Nummer – Zeitschrift für Kultur in Würzburg und Bulgarien
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»Sisyphos fragt sich ob sein Stein Sein sei –« (Kap. I / 4).
Radierung: Nicolai Sarafov

Foto: Achim Schollenberger

Glück ohne Ende

Sisyphos und Sarafov

von Berthold Kremmler

»Wir müssen uns Sisyphus als einen glücklichen Menschen vorstellen« – der berühmteste Satz zu diesem Komplex, der sich gegen die normale Sicht der condition humaine wendet, von einem Mann als Schlußpunkt seines großen »Mythus von Sisyphus« in die Welt gesetzt, von Albert Camus, der nicht alt genug wurde, um sich den Mühen der Ebene mit ihren Quälereien in aller Breite stellen zu müssen. Gewiß ein Satz, mit dem man sich schön beruhigen kann, es wird schon nicht so schlimm kommen, und wenn denn Quälereien sein müssen, erledigt sie Sisyphos für uns – er ist damit ja glücklich.
Ob es so einfach geht?
Nicolai Sarafov, der bulgarische Graphiker und Professor an der Würzburger Fachhochschule, hat diese mythologische Gestalt als Mittelpunkt seiner künstlerischen Phantasie erwählt, und er umkreist sie seit Jahren in Radierungen und Kommentaren zu seinen Blättern, die die Dunkelheit lieben und doch von lebendigem Witz funkeln.
Im Sommer hat er im Martin von Wagner Museum einen kleinen Querschnitt über seine kreisende Beschäftigung mit Sisyphos gezeigt, die ein schöner Katalog dokumentiert. Jetzt zu Weihnachten ist ein großformatiger Kalender im Selbstverlag erschienen, der 24. in seiner langen Reihe, der die Monate unter ein zentrales Motiv stellt, »Sisyphos und andere orthopädische Fälle«. Von diesem schön gedruckten Kalender wird weiter unten noch zu reden sein.
Sisyphus also. Auch der in griechischer Mythologie nicht so Bewanderte kennt das von ihm verkörperte Grundmotiv: sinnlose, sich ins Unendliche ziehende körperliche Schwerstarbeit, die »ewige Wiederkehr«, aber nicht als höchste Lust, sondern in ihrer ödesten Grundfigur – so denken wir. Eine Strafe für Übermut, für Hybris: die Höchststrafe. Nicht nur ein Leben lang, sondern bis in alle Ewigkeit. Diese Figur muß ein abgründig heiteres Gemüt ihr eigen nennen, wenn da noch irgendwo Glücksgefühle am Leben geblieben sein sollen.
Und der Sisyphos des Nicolai Sarafov? Ausstellung und Katalog in Würzburg haben sicht- und erfahrbar gemacht, daß man einer scheinbar so eindimensionalen Gestalt wie unserem Helden nicht nur viele Facetten und Perspektiven abgewinnen kann, sondern daß das ein bis ans Ende der Zeiten währendes Projekt, und eine lebenslange Aufgabe ist.
Der Einstieg für jedermann war als Plakat eine Radierung. Ein wunderbares Motiv: Eine hingekauerte Gestalt, dunkel, auf grauem Untergrund, mit tiefgrauen, leicht bizarren Schatten, Beinen wie abgenagten Knochen, einem zwischen die Schultern eingeklemmten, knochigen, haarlosen Schädel, und in der Hand des ausgestreckten linken Arms eine schwarze Kugel, hinter der heller Schein ahnbar wird und geradezu zu der schwarzen Wand dahinter sich verperlt. Der helle Schein verdichtet sich freilich zu einem menschlichen Profil mit spirreliger Brille, die, der kauernden Gestalt zugewandt, sie anstarrt. Gleichzeitig zeichnet sich ein weiteres Profil, eine Art Schatten, hinter der menschlichen Gestalt ab. Über dem Umriß-Kopf scheint ein Zylinderhut zu schweben, an dem ein Hase sein Unwesen treibt. Noch weiter in die Perspektive der Wand gerückt ist eine Atlas-Figur, die die Erde trägt, die aber weder eine Kugel noch eine Scheibe ist, sondern ein Quader, auf dem die Erdteile eingezeichnet sind. Atlas steht locker da, trotz der die Schulter niederdrückenden Last, auf einem Bein stehend, scheint er fast zu schweben oder doch wie ein Läufer zu tänzeln.
Das Blatt ist hier so ausführlich geschildert, weil man daran schön einige Ingredienzien der Kunst Sarafovs ablesen kann: zum einen die souveräne Verfügung über die Fläche, ihre Tiefe und Schärfe, durch große Blöcke aus Hell und Dunkel und einem Zwischenwert; das leicht Hingehauchte mancher Figuren oder Umrisse, so als wäre nur eben mal ein Zeichenstift über das Blatt gehuscht;
die Finsterkeit von Flächen, aber auch von Menschen; die Betonung scharfer Umrisse; die wilde Kombination von Disparatem, Beunruhigendem, ja Bedrohlichem.
Diese Elemente schreien geradezu nach einer formulierbaren Auflösung. Die schwarze Kugel – ist sie ein Sprengsatz für eine Welt aus den Fugen (jetzt als Quader in Planquadraten)? Ist sie das Gewicht des Steins, einer Welt, den ein Dämon hält, an einem dürren, ausgestreckten Arm, als wäre er ohne Gewicht, während darunter der gezeichnete Umriß einer angestrengt drückenden Sisyphosgestalt nur noch ein fernes Signal ist?
Die erklärungheischende Zeichnung – sie verweigert eine endgültige, eindeutige Erklärung. Und auch die Einordnung mittels des Katalogs ins Œuvre hilft nicht entscheidend weiter. Da heißt es bei diesem Blatt unter der Rubrik I,4 »Sisyphos fragt sich, ob sein Stein Sein sei - «. Eher erholt man sich da bei dem gegenüber abgedruckten Blatt I,6 mit dem Titel »Die Sinnlosigkeit ist kein Einwand gegen das Leben –«.
Damit sind wir bei einer anderen Seite der Interessen Sarafovs. Nicht nur an den mythologischen Anspielungen kann man die literarische Inspiration vieler seiner Blätter und Motive ablesen. Das ist freilich nicht die vertraute Literatur, die einer irgendwie nachvollziehbaren Logik gehorcht. Es ist die des Rätsels, der Anspielung, des höheren Scherzes.
Die Annäherung erleichtert, wenn man sich mit den »Fragmenten«, einer Schriftenreihe in zwölf Heften und 1000 Seiten, beschäftigt, voller Radierungen, Collagen, Texten, Textmontagen von kaustischem Witz und elegischem Charme: Ablagerungen eines Witzes, wie man ihn bei uns selten findet und der doch sprachlich und optisch von großem Reiz ist.
Eine nicht so geläufige genealogische Variante des Sisyphos bringt ihn mit Odysseus in Verbindung. Man meinte, nur ein so listenreicher Mann wie er könne ein Wesen wie Sisyphos gezeugt haben. Wie sonst hätte einer die Idee haben können, den Tod so gründlich zu fesseln, daß er niemanden mehr in den Hades führen konnte – für diese Totenverwahranstalt zweifellos eine bedenkliche Störung des Betriebsfriedens –, bis Ares ihn aus seiner mißlichen Lage befreite.
Von hier ist nur noch ein kleiner Sprung zu Nicolai Sarafov, der schon vor Jahrzehnten sein »Institut für Bagonalistik« gegründet hat, spezialisiert auf höheren Blödsinn, wie man etwas plump auf deutsch sagt und deshalb lieber das Wort Nonsense-Literatur verwendet. Hier kommt noch der Sprachwitz dessen dazu, dem eine andere Muttersprache zu eigen ist und der den slawischen Unterton durchaus noch ahnen läßt.
Auch auf den Blättern des neuen Kalenders 2007 toben sich Witz und kecker Sinn aus. Sie treiben dieses Jahr unter dem Titel »Sisyhos und andere orthopädische Fälle« ihr Unwesen. Bei diesen Ideen sind natürlich Felsbrocken aller Art unvermeidlich und in allerlei gymnastische Übungen einbezogen. Vielfigurig quälen und vergnügen sich die Menschlein mit Tätigkeiten wie dem Bügeln oder dem Treppensteigen, mit und ohne Beschwernis. All dies scheint locker aufs Papier geworfen und ist doch Ergebnis raffinierter Radierkunst, hingehuscht und hingezaubert. Man kann sein Gemüt ein Jahr lang erheitern mit diesen flaumleichten Monatsblättern des Nicolai Sarafov – Liebhabern der unausgetretenen Pfade sehr zu empfehlen. ¶


Zu haben ist der Kalender bei den Buchhandlungen Neuer Weg, Sanderstraße, Knodt, Textorstraße, 13 1/2, Herzogenstraße.