Nummer – Zeitschrift für Kultur in Würzburg und Bulgarien
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Fotos: Wolf-Dietrich Weissbach

Jochem Gummersbach und Berthold Kremmler.

Wenn zwischen Fässern
der Projektor rattert …

von Manfred Kunz

So stark wie nie zuvor war der Publikumsandrang bei den diesjährigen »Filmnächten im Residenzkeller«. Zum 4. Mal hatten die Staatliche Hofkellerei, die Filminitiative Würzburg e.V. und das Kino Casablanca an drei Tagen im November in den stimmungsvollsten Kinoraum Würzburgs eingeladen: Im dunklen, mit Kerzen illuminierten Gewölbekeller, links und rechts eingerahmt von riesigen Weinfässern, umsäuselt vom leisen Rattern eines 16mm-Projektors sitzt ein aufgeschlossenes neugieriges Publikum auf Klappstühlen und verfolgt konzentriert staunend Schwarz-Weiß-Streifen aus den 1950er Jahren, deren Auswahl in diesem Jahr unter dem Motto »French Connection« stand.

Ist es diese einmalige Atmosphäre, die das Publikum anlockt? Oder der unwiderstehliche Charme des enthusiastischen Initiators Jochem Gummersbach? Die zeitgemäße Verknüpfung von Sekt-, Rotwein- und Kulturgenuß? Vielleicht die gleichermaßen kurzweiligen wie profunden Einführungen von Filmkenner Berthold Kremmler? Oder etwa einfach nur das Interesse an Filmgeschichte und an Genre-Klassikern?

Ist doch in den letzten Jahren in der Tat eine veritable Folge von ästhetisch herausragenden Werken der Filmgeschichte zu sehen gewesen, die stilbildend für ganze Epochen oder Genres gewirkt haben. Mit »Touchez pas au grisbi« (1953, dt. »Wenn es Nacht wird in Paris«) von Jacques Becker (1906–60) stand beispielsweise im Jahr 2006 der beste, berühmteste und richtungsweisendste Film policier der 50er im Programm. Er markiert einen Wendepunkt in der Geschichte des französischen Kinos, ist er doch der erste »film noir«, der sich von Stoff und Milieu deutlich von den amerikanischen Vorbildern abhebt und mit seinen zutiefst bürgerlichen Gangstern und Ganoven den Beginn eines eigenständigen Genres begründet. Neben dem Erzählmuster, der Motivgeschichte und der Ästhetik ist es vor allem auch die Star-Genealogie von Jean Gabin und Jeanne Moreau, die den Ruhm des Films ausmacht. Darüber hinaus ist es die Fähigkeit, mit wenigen Strichen Figuren am Wegesrand zu charakterisieren, die Jacques Becker ganz besonders auszeichnet, und als er 1960 nach nur 13 Spielfilmen starb, hinterließ er eine Lücke, die erst Claude Sautet wieder ausfüllte, der eine ähnliche meisterliche Ökonomie in der Figurenzeichnung besaß.

Konsequenterweise war Claude Sautet (1924-2000) deshalb mit seinem Film »Classe tous risques« (1959, dt. »Der Panther wird gehetzt«) vertreten, ein packendes Gangster-Road-Movie, in dem neben Lino Ventura der junge Jean-Paul Belmondo ein überzeugendes Debüt gibt. Wie er nur mit seiner körperlichen Präsenz die Aufmerksamkeit des Zuschauers in den Bann zieht und mit seiner katzenhaft-geschmeidigen Beweglichkeit die Szenen ganz unspektakulär dominiert ist allein den Besuch des Filmes wert. Und erneut sind es zwei des Raubens übderdrüssige Ganoven, die sich nach nichts mehr sehnen, als einem ruhigen, bürgerlichen Leben im Kreise ihrer Familie.

Höhe- und Schlußpunkt der Reihe bildete dann »Ascenseur pour l’echafaud« (1957, »Fahrstuhl zum Schafott«), der erste Langfilm von Louis Malle (1932–95) mit der unwiderstehlichen Jeanne Moreau. Auch wenn der Streifen gelegentlich mit den dramaturgischen und inszenatorischen Schwächen eines Debüts zu kämpfen hat, weist er doch bereits auf Malles unbändigen Stilwillen voraus, der vom Manierismus bis zum Rand der unfreiwilligen Komik reicht. Dabei ist die existenzialistische Grundstimmung ebensowenig zu übersehen, wie die kongeniale Filmmusik von Miles Davis zu überhören ist, der mit diesen Kompositionen seinerseits einen Bruch in der Geschichte des Jazz einleitete und mit dem weltberühmten Soundtrack den Jazz von seinem harmonischen Gerüst befreite und die Bahn für frei improvisierte (Film-)Musik weit öffnete.

Nicht verwunderlich, daß ausgerechnet dieser Klassiker die meisten Besucher fand und das Fassungsvermögen des Kellers beinahe bis zur Grenze ausreizte. Doch dank perfekten und zuvorkommenden Organisation des Hofkellerei-Teams wurde auch dieser Ansturm bravourös gemeistert – und einer über drei Tage hinweg begeisterten bis euphorischen Resonanz beim Publikum. Und daß der Hofkeller am Ende der Reihe die Überschüsse der Veranstaltung der Filminitiative zur Finanzierung ihres Festivals spendet ist ein nicht unwesentlicher Nebenaspekt. Genausowenig wie die Spendensumme, die tags darauf die schon Kult-Status genießende »Dance The Dome«-Party des Midlife-Club in denselben Räumlichkeiten als Benefiz-Veranstaltung zugunsten der Film-Inititiative erzielte. ¶