Nummer – Zeitschrift für Kultur in Würzburg und Bulgarien
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Foto: Privat.

Nachruf auf Georg Förster (1931–2006)

Der Mann im Hintergrund

von Berthold Kremmler

Gegen große Vorzüge eines andern gibt es kein Rettungsmittel als die Liebe.

Goethe in den »Wahlverwandtschaften« (II,5)

Georg Förster ist tot. 75-jährig ist er am 22. November gestorben. Soweit die lapidare Nachricht.
Was weiß man schon von einem Mann im Hintergrund? Georg Förster ist vor 10 Jahren in den Ruhestand getreten, und damit rückte er damals schon in den Hintergrund, er, der von jeher sich vor diesem gar nicht hatte abheben wollen. Georg Förster war zuletzt Vizepräsident des Verwaltungsgerichts Würzburg, Vorsitzender der 5. Kammer und Pressesprecher. Er gehörte also zu den Honoratioren der Stadt, ins Rampenlicht einer großen Öffentlichkeit dürfte er kaum je getreten sein.

Und doch war er ein ganz und gar ungewöhnlicher Mann, nicht nur in sich selbst, sondern auch im Verhältnis zu der Umgebung, in der er sich üblicherweise bewegte.

In sich selbst, weil er auf unglaubliche, bewundernswerte Weise den Spagat zwischen Öffentlichkeit und Privatheit, zwischen Beruf und Familie, zwischen Glanz und Bescheidenheit für sich gelöst hat. Ein Mann, der sein Gericht und dessen Entscheidungen auf virtuose Art an die Presse, an die Öffentlichkeit gebracht und auf der Klaviatur dieser Publikationsmöglichkeiten gespielt hat, als hätte er nie etwas anderes tun müssen. Der aber auch die Entscheidungen des Gerichts geprägt hat, wie er es seinem Gewissen und seiner brillanten juristischen Kompetenz schuldig zu sein glaubte. Aber während er in seinem Arbeitszimmer im Verwaltungsgericht residierte, die Entscheidungen vorbereitete und feilte, verlor er nie den Kontakt zur Außenwelt, nicht zu der der Journale, nicht zu seiner Familie – denn er war ein begnadeter Telefonkünstler. Seine Eloquenz war gefürchtet, und es bedurfte einer ausgetüftelten Strategie, wenn man sich gegen die Flut seines Wissens, seiner Anregungen und Ideen zur Wehr setzen und seine eigenen Informationen, aber auch Fragen an den Mann bringen wollte. Dabei konnte er in einem Satz springen von den neuesten Machinationen der großen Politik über das Gras, das ständig unter dem Rathaus und in den verschiedenen Parteien sprießt, bis zu den Sorgen der Töchter. Nicht zu vergessen das Kino …

Das war die dritte seiner grandiosen Obsessionen. Ob die Justiz oder die Familie den Sieg davongetragen hat, darüber ist schwer zu befinden. Einerseits ist der Vizepräsident eines Verwaltungsgerichts ja keine Kleinigkeit.

Andererseits liegt man sicher nicht falsch mit der Vermutung, er habe nur um seiner Familie willen keine noch höheren, mit Ortswechseln erkauften Ämter angestrebt: zuerst die Sorge um den Vater, dann die um Frau und Kinder. Karrieregründe spielten gewiß die geringste Rolle für ihn. Er begnügte sich damit, die Interessen seiner Kollegen im Regierungsbezirk zu vertreten, lange Jahre hindurch. Und er muß glücklich gewesen sein damit. Denn er hat immer wieder hervorgehoben, welche Vorzüge das Dasein eines Verwaltungsrichters gegenüber andern Richter habe, größere Freiheit, größere Unabhängigkeit, geringere institutionelle Zwänge – kurz: ein großzügigeres, dem Menschen verpflichtetes, mit Augenmaß urteilendes, sich seiner Macht und seiner Grenzen bewußtes Personal.
Ein solches Urteil will etwas heißen, wenn es ein Mensch mit der Bescheidenheit, dem Reflexionsvermögen und dem Kenntnisreichtum von Georg Förster ausspricht.

Aber daneben gab es den Georg Förster der privaten Leidenschaften, außerhalb von Beruf und Familie, den Menschen, der vor Neugierde und geistiger Beweglichkeit sprühte, wenn es um Film, um Jazz, um die Würzburger Kinolandschaft ging. Und in diesen Bereichen spitzte sich auch seine Sammelleidenschaft zu. Nicht nur, daß er alle Informationen, derer er habhaft wurde, wie ein Schwamm aufsog. Er ordnete, katalogisierte sie und verfügte darüber mit einem fabulösen Gedächtnis. Und er sammelte.

Er sammelte so sehr, daß ich bei jedem Besuch in seiner Wohnung das Gefühl hatte, das Poe in einer seiner Geschichten so plastisch schildert: Die Wände wachsen auf einen zu. Nicht weil sie selbst näher rücken, sondern weil man den Eindruck gewinnt, als würde in den Bücherregalen immer nochmal eine Reihe nach vorne wachsen. Während bei uns normalen Sterblichen die Kapazitäten ausgereizt erscheinen, wenn die Bücher zweireihig hintereinander stehen, hatte man bei Georg Förster den Eindruck, daß damit die Möglichkeiten noch lange nicht erschöpft sind. Man wurde dessen gewahr, wenn man seine Schätze in Anspruch nehmen wollte und er zielgerichtet zu graben begann. Denn sein phänomenales, nie versagendes Gedächtnis ließ ihn immer den richtigen Griff tun – auch wenn es Hürden gab.

Und er sammelte und sammelte. Früher nur Bücher und Zeitschriftenausschnitte, die alle fein säuberlich ausgeschnitten, aufgeklebt, geordnet und katalogisiert wurden und sich auf Filme, aber auch auf die Würzburger Kinolandschaft bezogen. Es gab Zeiten, in denen er genauso leidenschaftlich Jazz sammelte, und die Legende ging, alles, was damit zusammenhängt, sei eigens in Garagen gestapelt, deren Ort nur er selbst weiß. Und natürlich Filmbücher, worin wir beide zeitweise in würdigem Wettstreit lagen. Ob seine Frau immer die Preise wußte?!

Daneben gab es noch eine spezielle Leidenschaft fürs Phantastische, vor allem im Film! Wie konnte er von den neuesten Nummern von Cinefantastic schwärmen, Zeitschriften, die selbst Filmliebhaber nur in Ausnahmefällen kennen. Schwer vorstellbar, was da in den Förster’schen Archiven alles schlummert … Dazu braucht es eines eigenen Sensoriums, so, als habe der Richter in ihm eine dunkle Gegenwelt gebraucht.

Wer Georg Förster auf der Alten Mainbrücke begegnete, konnte nur an der ausgesuchten Liebenswürdigkeit und Gesprächigkeit den besonderen Spaziergänger ahnen, während seine Mimikry an die bürgerliche Alltäglichkeit vollkommen war. An Kleinigkeiten nur blitzte hervor, was für einen extravaganten, faszinierenden Menschen es hier umtrieb. An solchen Begegnungen konnte man ermessen, was uns mit dieser noblen Erscheinung, mit diesem Mann, mit diesem Herrn im emphatischen Sinn verlorengegangen ist.

Seine Unerschrockenheit, seine Überlegenheit über Zwänge, seine Klugheit und seine Fürsorglichkeit für andere sollten ein bißchen abfärben auf uns – es wäre unser Schade nicht. ¶